DER MENSCH ALS ÜBERSCHUSS- ODER MANGELWESEN
"Wozu Religionen?"
Sommersemester 2022
Veranstaltungsort:
Otto-Mauer-Zentrum, Währingerstraße 2-4, 1090 Wien
Semesterprogramm zum Ausdrucken
Donnerstag 24. März 2022 18.30
Johanna Friedl, Wien
Der Mensch im Spagat zwischen Natur und Kultur.
Bemerkungen zur biblischen Anthropologie im heutigen Kontext
Online Donnerstag 21. April 2022 18.30
Detlef Pollack, Münster
Braucht der Mensch Religion?
Religiöser Wandel in modernen Gesellschaften
NEU (statt 12.Mai)
Donnerstag 19. Mai 2021 18.30
Alexander Dubowy, Wien
Die neue russische Verfassung und die Heilige Rus.
Zu einem utopischen Versuch, die Zeit gewaltsam umzukehren
Donnerstag 23. Juni 2022 18.30
Madeleine Petrovic, Wien
Technokratische Klimapolitik sowie Digitalisierung als Religionsersatz?
Gegenwärtige Tendenzen im Disput
Zum Semesterthema
DER MENSCH ALS ÜBERSCHUSS- ODER MANGELWESEN
Wozu Religionen?
Meist wird heute mit Charles Darwin nach dem Menschen als Ergebnis einer Biogenese gefragt, mit entsprechender Rückverpflichtung auf seine irdischen Vorfahren. Zum Unterschied grüner Naturfreunde kam der bedeutende englische Naturforscher aber ursprünglich von theologischen Fragestellungen: Woher und wozu das All als Ganzes? Wenn für den Menschen, was ist dann sein Wesen und wie kann er es in Verantwortung verwirklichen?
Er ist allem Überlegener, dennoch so, dass er mit Bezug auf alle auch ein Mängelwesen ist: aus, mit anderen und für andere Menschen, die allesamt schöpferische Freiheit dem ersten Schöpfer und letzten Vollender gegenüber haben. Vor Gott und mit allen ist er Bettlerkönig.
Alle seine irdischen Vorfahren haben ihre instinktbetriebenen Sicherheiten: Sie können, was sie müssen. Der Mensch hingegen ist vom Heiligen gezogen und gemessen: er ist Ihm in Ehrfurcht geweiht (fascinosus simul tremens). Das birgt die Gefahr, dass er sich selber zum Opfer wird: Eigentum, Macht und Geschlecht können ihre Eigenmacht aus ihm über ihn entfesseln. Dazu können auch die Triebgewalten der Natur ihn überfallen. Von Erdbeben über Fluten, von Raubtieren zu Viren muss er aus seinen Leiden Überlegenheit lernen. Vom untertänigen Mängelwesen kann er jedoch schnell zum übermütigen Herrenmenschen wuchern. Das Anthropozän kann ihm und allem zum Verhängnis werden.
Nach dem Gesetz der Bevölkerungsentwicklung wird er heute auch zum Massenmenschen: In Megastädten muss er Unterkunft und Gelegenheitsarbeit finden. Schlagwörter aus Verwaltung und Überwachung führen zum Sprachverlust. Er ist zwangsweise Flüchtiger, auf gnädige Zuflucht Angewiesener: findet sich aber meist vor unüberwindlichen Grenzen von Bildungsvorteilen und Zivilisationsüberlegenheit – er bleibt Nachzügler, Übervorteilter. Wie soll er nun als „Allesmängler“ noch Hunger nach der Würde jener Freiheit finden, die alles im Überschuss des Ganzen vollendbar glaubend hoffen kann?
In Kooperation mit: Otto Mauer-Zentrum - Forum Zeit und Glaube 1090 Wien, Währingerstr. 2-4