Die globale Seuche hat uns Einhalt geboten. Ist der globale Kommunikations- und Kommerzraum, den uns Elektronik und Elektrotechnik in unglaublicher Schnelligkeit beschieden haben, trag- und zukunftsfähig? Wir müssen in vielem wieder selbstständiger, eigenverantwortlicher werden, so sagt uns die praktische Vernunft, zugleich solidarischer, so befehlen uns die Menschenrechte. Jacques Delors´ Appell wird zur neuen Aufgabe: „Die verlorene Seele Europas suchen!“ Davon zeugen die großen Gestalter der europäischen Friedensgemeinschaft: Adenauer, de Gaulle, de Gasperi, die dem Architekten der Montanunion Robert Schuman mit allem Ernst folgten. Anlässlich der Unterzeichnung der grundlegenden „römischen Verträge“ (1953) deponierte Schuman: „Nun haben wir eine Dachkonstruktion für ein vereintes Europa gelegt. Diese wird nur halten, wenn wir Fundamente der Glaubensüberzeugung legen!“ Er meinte dabei die christliche Einstellung, die alle „Väter Europas“ damals bekannten. Und sie alle vier hatten erlebt, wie zwei Weltkriege das „christliche Abendland“ aus eigener Schuld zerstörten, die Welt in Flammen versetzten und in Trümmer legten.
Panendemien sind durch Menschen einschränkbar und schließlich behebbar - verantwortliche BürgerInnen und unermüdliche ForscherInnen können es. Auch Pan-dämonien? Diese sind in einem Maß ansteckend, das unfassbar ist. Totalitäre Systeme sind nicht nur unheilbar, sondern einander todfeind. Die Menschheitsgeschichte beweist das. Können nun verspielte, verkaufte, verratene Seelen wiedergefunden, neu erweckt werden? Auch dafür gibt es Beispiele, einer der bewegenden Texte findet sich in der Bibel beim Propheten Ezechiel (zur Exilszeit Israels): Gott lässt die toten Gebeine zu neuem Leben erstehen. (Ez 37,1-10).
Gott wiederholt nicht einfach: Das Verlorene findet man nicht eben so auf, wie man es verscherzt hat. Aus Schäden soll der Mensch lernen. Das Exil Israels war ein erstes Lernstück, die Zerstörung und Enteignung des zweiten Tempels und Jerusalems ein weiteres, das entscheidend für das Aufkommen des rabbinischen und messianischen (christlichen) Judentums werden sollte. Der antike Geschichtsraum um das Mittelmeer mit Jerusalem - Athen - Rom als Achse wurde schließlich von Barbaren überrannt und fand ein Ende. Er wurde im atlantischen Europa mit seinem „römischen Reich deutscher Nation“ fortgesetzt, das sich in einer kolonialen Mission weltweit ausbreitete und sich schließlich selbst zerstörte. Und Europa heute? Was bedeutet ein vereinigtes Europa, die EU und die Gegenden darüber hinaus? Was sind Lernergebnisse für heute und morgen?
Europa hat jüdisch-christlich-islamische Wurzeln. Auch durch religiöse wie kulturelle Einflüsse von außen lernte es dazu: Einerseits, seine eigene Identität durch Dialogprozesse zu stärken (die wurden beispielsweise vom Juden Franz Rosenzweig 1917 aus der Erfahrung monotheistischer Konvivenz in Sarajevo lanciert), andererseits diese auch in einer weltweiten Diaspora zu bewähren. Um es mit dem geistlich-geistigem Erbe des Abendlandes zu formulieren: Nach seinen schrecklichen Konfessions- und Religionskriegen und einer lähmenden antimodernistischen Restaurationsphase wurde aus einer okzidentalen „Westkirche“ eine universale Weltkirche. Ein weltweites Konzil mit einer unwiderruflichen Dialogerklärung (Nostra Aetate) und einem Bekenntnis zur Religionsfreiheit, das heißt, der Aufforderung in vorbehaltsloser Freiheit die Begegnung mit allen Religionen zu suchen, hat die Weichen neu gestellt. Damit kann die „verlorene Seele Europas“ neu gefunden werden.
Wäre die Bereitschaft zur Verständigung und zu einer tiefen Begegnung des Dialogs nur so ansteckend wie das Coronavirus!
Ihr Forum für Weltreligionen